Schacholympiade 2008 in Dresden

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Deutsche Schachjugend - keine Angst vor Experimenten

von Axel Dohms

Das vom 15. – 17. 4. 05 unter Regie der Deutschen Schachjugend in der Fide-Trainerakademie/Berlin durchgeführte Wochenendseminar "Schach mit Kindern" war ein Pilotprojekt. Pate stand dabei ein Positionspapier der Organisation, in dem der pädagogische Wert, die spielerische Vermittlung unter Anleitung von ausgebildeten Fachkräften besonders betont werden.

Die Veranstaltung war in drei Teile gegliedert:
- einen pädagogischen unter Leitung von Patrick Wiebe (1. Vorsitzender DSJ),
- einen praktischen Übungsabschnitt mit 10 Berliner Kindern,
- einen schachlichen, den A-Trainer Holger Borchers besorgte.

Der Begriff Kind wurde so verstanden, wie ihn die Literatur allgemeinhin definiert: Die Zeit zwischen 4 und 12 Jahren. Allerdings blieb die Altersstufe 11 – 12 ebenso ausgeklammert wie
das Thema "Schach im Kindergarten". Zu letzterem lag jedoch im Begleitmaterial ein von Martina Beltz und Harald Niesch herausgegebenes Werk "Schach im Kindergarten. Methodik für die Erzieher" aus, das m. E. nur bedingt empfehlenswert ist. Wie sein Untertitel schon vermuten lässt, glauben die Autoren, dass der Weg, auf dem ErzieherInnen im Selbststudium sich mit den Grundlagen des Spiels vertraut machen können, derselbe und geeigneteste ist, wie Kinder (im Vorschulalter!) zu ihm hingeführt werden können. Ein glatter Trugschluss. Die Diskussion darüber wäre viele Lehrgänge wert.

Den Schwerpunkt bildete also die zeitliche Spanne von der Einschulung bis zum möglichen Wechsel der Schulform nach der 4. Klasse.
In einem stichwortartigen Crash-Kurs, der kaum Gelegenheit für Fragen und Gedankenaustausch bot, wurde dieser Bereich hinsichtlich verschiedener Fragestellungen (Konzentration, Motivation, Stoffvermittlung usw.) abgegrenzt. Als Wegweiser diente ein Pionier der Entwicklungspsychologie, der Schweizer Jean Piaget (1896-1980), der dieser Alterstufe das konkret-operationale Stadium zurechnet, in dem vorwiegend anschauliche Inhalte vermittelt werden. Hier hätte es sich angeboten, darüber zu sprechen (was nicht der Fall war), dass die spezielle Schachterminologie ein hohes Maß an Bildhaftigkeit besitzt (Springergabel, Familienschach, vergifteter Bauer, Spieß usw.), die bei entsprechender (mimetischer, theatralischer) Umsetzung einen spielerischen Lerneffekt erzielt.

Unter Zeitnot litten auch die praktischen Übungseinheiten in 3er Teams am folgenden Tag, die zum Ende hin sichtlich ausfransten und z. T. abgebrochen werden mussten. Sie waren trotzdem als Brücke der Anschaulichkeit vom pädagogisch-theoretischen zum schachlichen Teil unverzichtbar, der unter dem Motto "Spaß" stand, das häufigste Wort in den zweieinhalb Tagen.
Ich hätte als Leiter die abgewirtschaftete Vokabel, die mittlerweile von der Spaßgesellschaft bis zur Bierwerbung Einzug gehalten hat, unter Generalverdacht gestellt und stattdessen das neutrale (Spiel-)Freude empfohlen, das einerseits theoretisch auf das bahnbrechende Buch "Homo ludens" des Holländers Johan Huizinga (1872 – 1945) verweist, in dessen Zusammenhang Schach als Kulturtechnik zweifellos gehört, und andererseits Kindern praktisch ins Gesicht geschrieben steht, wenn von Eröffnungseinfällen und –reinfällen, von taktischen Finten und frühen Gemetzeln auf dem Schachbrett die Rede ist.

Zu dieser Spiel- und Diskussionsfreude unter den Teilnehmern leistete Holger Borchers mit einigem Witz und gelungenen Beispielen den wesentlichsten Beitrag. Er hielt zudem ein warmes Plädoyer für die [fett}russische Schachschule Zak (Trainer des Ex-Weltmeisters Spassky), in der die oben erwähnten Elemente zentrale Bedeutung haben und gegenüber systematischem Eröffnungstraining im Verhältnis von 95% zu 5% stehen. Dieses sollte erst mit dem 11. Lebensjahr einsetzen, in einer Phase also, die der schon erwähnte J. Piaget als "formales Stadium" (= beginnende Hypothesenbildung) bezeichnet.

Herrschte darüber noch generelle Einmütigkeit, so wurde es im weiteren Verlauf bei konkreten Beispielen lebhaft und kontrovers. Angenommen, ein Kind spielt die Zugfolge a3 – e5, c4: Soll ein Trainer sie untersagen oder ermöglichen? Soll überhaupt die sizilianische Eröffnung Kindern dieser Alterklasse vermittelt werden? (Ja = 6 Teilnehmer, Nein = 15 Teilnehmer)

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der erfahrene C-Trainer auf die Einsicht zurückgeworfen, dass er als Einzelkämpfer (was kein Nachteil sein muss) allein auf weiter Flur steht und sich, immer wieder, selbst Schneisen durch das Dickicht der Themen und Methoden schlagen muss. Da war ihm das Wochenende eine nur bescheidene Hilfe, allerdings ein Experiment, das Wiederholung verdient, in Zukunft aber gezielt Lehrer mit Schachneigung einbeziehen (Verzahnung von Verein und Schule!) und sich eine Themenbeschränkung auferlegen sollte, um der Zeitnot zu entgehen und die Sache gedanklich zu vertiefen.