Schacholympiade 2008 in Dresden

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Thomas Pähtz – Trainer des Jahres 2004

Schach-Kurzbiographie
- Jahrgang 1956
- Mit 8 Jahren Vereinsmitglied (Lok Erfurt)
- 1970 DDR-Schülermeister
- 1973 DDR-Jugendmeister
- 1975 – 1978 mit dem Schach fast aufgehört
- 1983 IM-Titel
- DDR-Meister 1988,1990
- 1991 GM-Titel ("mein zweites Westturnier / Berliner Sommer-Open bescherte mir die 3. Norm")
- Bundesligaspieler in den folgenden Jahren
- Seit 1993 vorwiegend Coach und Trainer (ohne Trainerschein!)

 

Thomas Pähtz-Ein Portrait von Axel Dohms

/images/uploads/a68b68c8d138f309fae38eeb252695fb.jpgIch bin unterwegs nach Erfurt zu Großmeister Thomas Pähtz. Er ist von einer vierköpfigen Jury (Bundestrainer Uwe Bönsch, Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler, Vizepräsident Prof. Dr. Hans J. Hochgräfe, Leistungsreferent Klaus Deventer) gemeinsam mit Bernd Rosen zum Trainer des Jahres 2004 gewählt worden. Der Name ist eine feste Größe in Schachkreisen. Es gibt ja auf allen Leistungsebenen etliche schachbegeisterte Familien in Deutschland. Die Söhne des deutschen Vorkämpfers Wolfgang Unzicker, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, haben eine beachtliche Spielstärke entwickelt. Arthur Jussupow, seine Frau und Tochter Katharina. Der Name Hund wäre zu erwähnen. Und eben die Familie Pähtz:
Vater Thomas, bald 50 Jahre, zweimaliger DDR-Einzelmeister und, was kaum einer weiß, dt. Vizemeister 1993, sein talentierter Sprössling Thomas Pähtz jun. und vor allem Elisabeth Pähtz, U-18-Weltmeisterin 2002 und Juniorinnen-Vizeweltmeisterin 2004. Vielleicht liegt Schach doch in den Genen, vielleicht wird hier ein deutsches "Polgar-Exempel" statuiert, vielleicht liegen die Dinge noch ganz anders. Mir schießen die Bilder nervender Eislauf-Muttis durch den Kopf und die vielfältigen, unerquicklichen Beobachtungen bei deutschen Grundschulmeisterschaften im Schach, Jugend- und Kinderturnieren. Sie gehören allesamt, Eltern und Betreuer, in einen abseits von der Veranstaltung gelegenen Ort weggesperrt und dürfen erst nach Ende des Turniers freigelassen werden, wie ich es in einem amerikanischen Spielfilm, - so meine dunkle Erinnerung - vor Jahren gesehen habe.

Wenn ein Vater, ein guter und ehrgeiziger Schachspieler, mit seinem Filius zu mir in den Verein kommt, werden die beiden erst mal auf zwei Jahre getrennt: "Jochen, überlass mir vorerst den Knaben." Enthusiasmus ist eine feine Sache und kann ansteckend wirken, aber falsch verstandener Ehrgeiz behindert oft den Weg in die Selbständigkeit. Wie das Verhältnis von Begeisterung und (übertragenem) Ehrgeiz im vorliegenden Fall ist, das möchte ich wissen.

Nur deshalb habe ich die Kosten für Fahrt und Übernachtung als ehrenamtlicher 2008-Schacholympiade-Redakteur des DSB auf mich genommen. Die Mischung interessiert mich. Mal sehen, bin gespannt. Noch ein paar Meter, und ich bin am vereinbarten Treffpunkt: Schachschule Kerspleben. Die ist relativ neu, seit drei Jahren existiert sie. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein großzügiges Privathaus auf einem wunderschönen Riesengrundstück, das sich ca. viermal im Jahr, zumeist in der Ferienzeit, in eine Art von Schach-Jugendherberge mit Übernachtung, Vollverpflegung und Rundumbetreuung verwandelt. Es kommen Teilnehmer aus Belgien, Luxemburg und vorwiegend Sachsen, Thüringen und dem Erfurter Umland.

Thomas Pähtz träumt davon, auf diesem Weg noch einmal eine junge Spielergeneration an das Niveau heranzuführen, das Mitte der 90er Jahre Ferenc Langheinrich, Thomas Hänsel, Elisabeth und Thomas Pähtz jun. erreicht hatten. Ich gratuliere zu seiner Wahl als Trainer des Jahres. Hat die ihn überrascht, erfreut und er die Preisverleihung schon hinter sich, so meine Frage. Und was war, seiner Ansicht nach, ausschlaggebend für sie? Das Erfolgsgespann Vater-Tochter oder andere Faktoren? Seine Reaktion: "Ich war schon ziemlich überrascht, als Klaus Deventer bei den Jugendmeisterschaften in Willingen auf mich zukam und mich von der Wahl unterrichtete. Zumal ich kurz davor noch ein Wortgeplänkel mit ihm hatte. Zum letzten Teil Ihrer Frage: Die Erfolge von Elisabeth, vermute ich, haben mir zu der Auszeichnung verholfen."

Ich erzähle ihm von meinen "abwegigen" Gedanken auf der Herfahrt, die vielleicht dem Anlass, der Würdigung eines Preisträgers, nicht ganz angemessen erscheinen könnten, aber die Alltagserfahrungen eines langjährigen Übungsleiters widerspiegeln, die er dem Großmeister vorzutragen, sich nicht scheut. Sind sie für den nachvollziehbar? Seine Antwort: "Natürlich, ich sehe die Dinge heute viel lockerer als vor 15 Jahren. Ich glaube, durch die Praxis wird man ein guter Trainer. Nicht durch irgendeinen Trainer-Schein, sondern durch den Umgang mit leistungswilligen Jugendlichen."

Zur Verdeutlichung ein Fall aus meiner Praxis: taucht ein sechsjähriger, sehr begabter Junge (heute 23 und IM) mit seinem Vater im Verein auf und spielt zwei Jahre in der Kreisklasse. Dann setzt der pater familias, unzufrieden damit, dem Sohn am Trainingsabend die Pistole auf die Brust: "Ich bezahle dir einen Privattrainer und will, dass du in zwei bis drei Jahren in einer Bundesliga-Jugendmannschaft spielst". Die prompte Antwort des Dreikäsehochs (ich stand daneben!): "Wie du willst, aber ich will weiter freitags hier trainieren!" Dabei ist es bis heute geblieben. Eine erstaunliche Selbstbehauptung gegenüber väterlichen Ambitionen.

Was sagt der Vater Pähtz, was der Trainer Pähtz dazu? "Mein Junge war so ähnlich. Hat mit 13 das Training eingestellt, weil er als dt. Jugendmeister nicht zu den internationalen Turnieren reisen durfte. Das war ein Knacks in seiner Motivation. Ich habe ihm danach freie Hand gelassen, und er hat sich für den Beruf entschieden. Er ist derzeit Student der Physik in Jena." Das angeführte Beispiel veranschaulicht wie ein Blitzlicht weitere Problemfelder: wie ist die Balance zwischen Distanz und Anteilnahme zu halten, oder: sollen sich die Spieler den Trainingsmethoden oder die Trainingsmethoden den Spielern anpassen? Wichtig oder abseitig? Die Meinung des GM, bitte: "Das lässt sich generell nicht beantworten und hängt u. a. entscheidend davon ab, ob es sich um Gruppen- oder Individualtraining handelt."

Es bleibt keine Zeit für weitere Fragen. Die nächste morgendliche Trainingseinheit des Lehrgangs vom 18. - 22. 7. steht auf dem Programm. Thomas Pähtz muss los. Ich begleite ihn. Diesmal sind es fünf 8 - 9jährige Erfurter Jungen, des Großmeisters "Haus"-Truppe, die auf der überdachten Terrasse unter dem Motto "Schach mit Pähtz bringt Feez" ein Intensiv-Training erhalten. Von Heinz Rätsch, seinem früheren Trainer und Ex-Bundesnachwuchstrainer, den er um Hilfe gebeten hat. Denn er kann sich nicht zweiteilen.

"Sie sehen, die Hütte ist voll." Er selbst muss ins taghelle Souterrain, wo der Leipziger Florian und eine fünfköpfige Gruppe von überwiegend 14jährigen Jugendlichen aus Naumburg/Saale auf ihn warten, die schon zum vierten Male dabei sind und von Thomas Pähtz seit mehr als drei Jahren einmal wöchentlich betreut werden. Dafür nimmt er 120 km für Hin- und Rückfahrt auf sich. Thema: Eine Verlustpartie von A. Aljechin (mit Schwarz) und "Wie erkenne ich in einer geschlossenen Stellung anhand der Bauernstruktur, wo ich angreifen muss?"

Danach Mittagessen und Pause bis 15 Uhr, in der sich die Halbwüchsigen an der Tischtennisplatte neben der Schachecke pausenlos vergnügen, während der GM sich auf den Nachmittag vorbereitet: Endspiel K, T, L gegen K, T. Theoretisch Remis, wenn das Verfahren beherrscht wird. Mitgebracht hat er eine Partie Kostenjuk - Onischuk, in der ein Elo-Kaliber von weit über 2600 (mit Schwarz) die Verteidigung nicht hinbekam. Und eine andere, in welcher derselbe Spieler als Führer der weißen Steine einen Fehler des Gegners nicht zum Gewinn ausnutzen konnte. Originalkommentar Pähtz: "Ihr seht, er hat es als Junge nicht richtig gelernt."

Nach witzigen, entspannenden Exkursionen über sein Bobby-Fischer-Fieber in jungen Jahren und all die eigenen technischen Unzulänglichkeiten (z. B. Mattsetzen K, S, L, - gegen König; "Das habe ich erst gelernt, als ich es Kindern erklären musste"), folgt der 2. Teil: K, T + Bauer - gegen K, L. Auch keine leichte Kost, bei der der Nachwuchs (Spannbreite DWZ 1000 – 1900) aber lebhaft mitmacht und gute Kenntnisse beweist. Um 17 Uhr 30 ist Schluss. Thomas Pähtz ist geschafft, "ganz schön anstrengend".

Bei einem Bier gibt er dennoch bereitwillig weitere Auskunft. Schach gilt als hochkompliziertes Spiel und verlangt die unterschiedlichsten Begabungen (Rechenkraft, Entschlussfreudigkeit, Umsicht, Phantasie usw.). Welche Eigenschaften lassen sich trotz alledem nicht erlernen und trainieren? Seine Meinung: "Wenn man früh genug beginnt, lässt sich alles trainieren."
In Politik, Wirtschaft usw. sind Führungskräfte gefragt, in anderen Bereichen in meiner Terminologie Verführungskräfte. Der Schachtrainer gehört in einem gewissen Sinne dazu: das gilt für die Kleinen, deren Lust zum Spiel mit Finten erweckt und am Leben gehalten werden muss; für die Älteren, die mit Finessen Lust am Analysieren verspüren sollen; und für die ausgereiften Semester, die durch Feinheiten sich die Lust am Denken (selbständige Problemlösung) erwerben oder erhalten sollen.

Die Ansicht des GM, bitte: "Sie haben vorhin den lebhaften Florian erlebt. Der kam gestern zu mir: 'Wie lahm, Herr Pähtz, wie lahm!' Deswegen heute die nicht leichten Endspiele, in denen er besonders gefordert war und seine Kreativität unter Beweis stellen konnte. Den leistungsschwächsten, aber sehr ehrgeizigen Teilnehmer, der davon nichts wissen konnte, habe ich nach der Erklärung die Schritte wiederholen lassen. Er hat sie behalten und begriffen. Gut, oder?"

Der Trainer als Motivationskünstler. Was ist ansonsten seine wichtigste Eigenschaft? "Ich denke, ganz wichtig für die Kinder ist, dass sie spüren, wie man mit ihren (schlechten) Zügen mitleidet. Dann sind sie voll dabei." Was ist ansonsten die wichtigste Eigenschaft eines Trainer? "Seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur." Viele Sänger begeben sich auch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in die Obhut eines sie ständig korrigierenden Lehrers. In Analogie dazu: Was ist das Ziel eines Schachlehrers: sich entbehrlich (unscheinbar) oder unentbehrlich zu machen? Seine prompte Antwort: "Ein Trainer wird immer gebraucht."

Zum Abschluss: wie war das im Haus Pähtz? Wurden Schachbretter als Köder ausgelegt oder schauten die Kinder dem Bundesliga-Spieler bei seiner nachträglichen Analyse über die Schulter? Sanfter Drill oder Zufall? Ohne zu zögern: "Das war schon gelenkt."

Der GM, nehme ich an, hat seine Kinder als Coach zu wichtigen Turnieren begleitet. Wie war sein Verhalten vor Ort? Trat er im Turniersaal in Erscheinung oder hatte er sich zur Vor- und Nachbereitung lediglich im Hintergrund gehalten? Ohne lange nachzudenken: "Anfangs war ich noch zu sehen, aber gegen Ende des Turniers, als mein Lampenfieber stieg, ich es nicht mehr ertragen und auf meine Schützlinge nicht übertragen wollte, war ich weg. Im Internetcafé, beim Stadtbummel oder sonst was."

Kann sein, dass Schach in den Genen liegt, kann auch nicht sein. Vielen liegt es jedenfalls am Herzen. Einer von ihnen, das war am heutigen Tage deutlich zu spüren, ist Großmeister Thomas Pähtz.

"Herr Pähtz, ich danke für den Einblick in Ihre Schach-Werkstatt."