Schacholympiade 2008 in Dresden

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Internationaler Schiedsrichter Thomas Wiedmann

/images/uploads/a92624e81dcc1900da0bfd253d544ea8.jpgDer Titel „Internationaler Schiedsrichter“ ist der höchste Titel, den ein Schachschiedsrichter erlangen kann. Der Weg dorthin ist sehr weit und führt auf nationaler Ebene zunächst vom „Turnierleiter“ über den „Regionalen Schiedsrichter“ zum „Nationalen Schiedsrichter“. Der Turnierleiter kommt in der Regel bei Turnieren auf Vereinsebene und in unteren Spielklassen zum Einsatz; der Regionalen Schiedsrichter wird bevorzugt auf Landesverbandsebene eingesetzt, im Allgemeinen in der Oberliga. In den Bundesligen kommt in der Regel der Nationale Schiedsrichter zum Einsatz. Auf internationaler Ebene gibt es schließlich die Titel „Internationalen Schiedsrichter“ und seit 2005, dazwischengelagert, den „FIDE-Schiedsrichter“. Zum Erlangen selbiger sind jeweils mehrere Einsätze auf internationalen Turnieren notwendig. Ferner sind Sprachenkenntnisse so genannter FIDE-Sprachen (z.B. Englisch oder Russisch) nachzuweisen.
Thomas Wiedmann aus Schlat bei Göppingen ist einer von wenigen Internationalen Schiedsrichtern in Deutschland. Am Rande der Württembergischen Blitz-Mannschaftsmeisterschaft in Gerlingen fand sich Zeit für ein kurzes Gespräch.
Thomas, Du bist 2005 zum Internationalen Schiedsrichter ernannt worden. Herzlichen Glückwunsch hierzu! Wie viele Internationale Schiedsrichter gibt es überhaupt in Deutschland?
Größenordnungsmäßig gibt es in Deutschland an die 40 Internationale Schiedsrichter (genau: 37 ISR und 3 FSR). Viele von denen sind allerdings nicht mehr aktiv. Wir haben heute schätzungsweise noch etwa 20 aktive Internationale Schiedsrichter.
Wie bist Du überhaupt zum Schach gekommen?
Angefangen hat alles in meiner frühen Kindheit in der Kneipe meines Vaters. Dort haben einige Gäste immer wieder mal eine Partie gespielt. Ich habe mir das Spiel mehr oder weniger durch Zuschauen selber beigebracht.
Irgendwann habe ich dann einen Gast einfach mal herausgefordert und bald gegen ihn gewonnen. Im Laufe der Zeit hatte ich in der Kneipe keine Gegner mehr gehabt, nur noch Opfer. Die Folge war, dass mich mein Vater mit 13 Jahren in einen Schachverein geschickt hat. Zu dieser Zeit war ich noch der jüngste Spieler im Verein. Heute wäre es quasi anders herum.
Und wie bist Du zum Schiedsen gekommen?
Mit der Schiedserei fing es bei mir an, als ich auf einer Kreisversammlung im Schachkreis Filstal teilnahm. Es wurde dort ein Kreisjugendleiter gesucht. Hajo Gnirk, der damalige Bezirksspielleiter, hat mich für diesen Posten vorgeschlagen. So begann zunächst mal meine Funktionärskarriere.
Hajo Gnirk hat mich in der Folge weiter beobachtet und auch gefördert. Er war es auch, der mich zur Regionalen Schiedsrichterausbildung nach Schwäbisch Gmünd und zu einem Wiederholungslehrgang nach Karlsruhe schickte. Und 1991 hat er mich nach Hamburg zur Nationalen Schiedsrichterausbildung geschickt.
Dann verfügst Du ja über eine immense Erfahrung. Wie viele Einsätze hast Du seitdem gehabt?
Ich habe jedes Jahr etwa 6 bis 8, in Spitzenjahren auch einmal über10 Einsätze in der Bundes- und Oberliga. In der vergangenen Saison waren es 7, ein Jahr davor waren es 11 Einsätze. Hinzu kommen bei Bedarf noch Einsätze bei sonstigen Turnieren

 

/images/uploads/d2b7ab36af5926b12975ff08b8632170.jpg2008 findet in Dresden die Schacholympiade statt. Welche Erwartungen hast Du an die Olympiade? Was bedeutet sie für das Schach in Deutschland?
Die Schacholympiade ist natürlich ein ganz tolles Event. Der Deutsche Schachbund und die Schachöffentlichkeit allgemein sind gefordert daraus etwas Großartiges zu machen. Wenn dies gelingt, bekommen wir vielleicht hinterher das, was uns jetzt noch fehlt: eine Leitfigur im Deutschen Schach. Zu Hübners richtig guten Zeiten gab’s das noch. Hübner hat sehr viel für die Popularisierung des Schachs getan. Oder man denke nur an Boris Becker. Was der für Tennis in Deutschland getan hat ist fantastisch. So etwas fehlt dem Schach in Deutschland derzeit.
Wirst Du bei der Schacholympiade dabei sein?
Ich geh davon aus, dass ich Kraft meines Amtes dabei sein muss!
Du möchtest aber sicher auch....
...ich möchte natürlich auch!
Wie sieht von Deiner Seite die Vorbereitung bis dahin aus?
Ich bin im Deutschen Schachbund in der Schiedsrichterkommission tätig und mit für die Schiedsrichterausbildung zuständig. Bis zur Olympiade wird es noch einige Lehrgänge geben, bei denen ich auch teilweise als Referent eingeladen sein werde. Und im Jahr 2008, also kurz vor der Olympiade selber, ist in Dresden ein abschließender Schiedsrichterlehrgang vorgesehen, bei dem die dort eingesetzten Schiedsrichter noch mal gezielt auf das bevorstehende Ereignis vorbereitet werden. Hierzu gehört z.B. das Kennen lernen der örtlichen Begebenheiten. Ferner werden einige Fremdsprachen angerissen, wobei der Schwerpunkt auf Russisch liegen wird. Lernen kann man die Sprache in der Kürze natürlich nicht, aber einige Grundbegriffe sollten die Schiedsrichter können.

 

/images/uploads/9bed0b3a80fa4918350424d34566dabb.jpgDu hast ja auch bei der Übersetzung der FIDE-Regeln aus dem Englischen ins Deutsche mitgearbeitet. Wie lief diese Zusammenarbeit in der Praxis ab?
Die FIDE-Regeln werden alle 4 Jahre neu von der FIDE beschlossen und in der englischen Originalfassung veröffentlicht. Als die Regeln vor fünf Jahren (2001) das vorletzte Mal veröffentlicht wurde, saß ich gerade kurzzeitig in der DSB-Schiedsrichterkommission. Der Chef der Schiedsrichterkommission hat damals die gesamte Bundesspielkommission aufgefordert an der Übersetzung mitzuarbeiten. Das hat aber leider kaum einer getan; nur diejenigen, die in der Schiedsrichterkommission waren. Ich habe mich dann natürlich auch dazu bereit erklärt dabei mitzuarbeiten. Die meiste Arbeit war aber schon von anderen erledigt worden und ich musste die Vorlage im Wesentlichen nur gegenlesen und gegebenenfalls korrigieren. Ähnlich war es auch im letzten Jahr bei der 2005er-Fassung. Ich saß wieder in der Schiedsrichterkommission und war aufgefordert mitzuhelfen.
Was zeichnet Deiner Meinung nach einen guten Schiedsrichter aus? Gibt es beim Schachschiedsrichter so etwas, was man beim Fußballschiedsrichter als Fingerspitzengefühl bezeichnen würde? Oder gibt es nur die strenge Regelauslegung?
Fingerspitzengefühl gibt es auch beim Schachschiedsrichter. Ein guter Schiedsrichter sollte aber vor allem unauffällig sein, er sollte im Prinzip gar nicht da sein. Wenn man gar nicht merkt, dass ein Schiedsrichter anwesend ist und dieser hat trotzdem alles fest im Griff, das ist der beste Schiedsrichter.
Hast Du schon Entscheidungen getroffen, die Du im nachhinein lieber anders gefällt hättest?
So richtig schwere Entscheidungen habe ich eigentlich noch nie gehabt....

 

Du bist also mit all Deinen Entscheidungen zufrieden gewesen?
Es sind fast immer triviale Entscheidungen erforderlich gewesen, welche die Spieler dann auch immer akzeptiert haben. Eine etwas unangenehme Situation ergab sich einmal bei einem Bundesligaspiel. Bei einem Bundesligawettkampf spielen insgesamt vier Mannschaften. Und es gibt zwei Schiedsrichter, jeder Schiedsrichter leitet einen Mannschaftskampf. Ich wurde plötzlich zum zweiten Kampf gerufen, mein Mannschaftskampf war zu dieser Zeit weitestgehend abgeschlossen. Bei dem anderen Kampf stand mein Schiedsrichterkollege an einem Brett und das Blättchen eines Spielers war gefallen ohne das mein Kollege oder einer der Spieler reklamiert hatten. An dieser Stelle musste ich für meinen Kollegen reklamieren, was ihn dann etwas in Verlegenheit brachte. Man macht so etwas natürlich nur äußerst ungern.
Dein Kollege hat es einfach übersehen?
Wir spielten mit elektronischen Uhren und er war wohl mit der Handhabung selbiger einfach nicht richtig vertraut gewesen.
Gibt es eine Anekdote, die Du zum Besten geben möchtest?
Da muss ich mal ganz genau überlegen. Eigentlich nicht, oder doch:
Es ist doch so, dass die Schiedsrichter im Allgemeinen auch eine repräsentative Funktion in der öffentlichen Darstellung von Schachveranstaltungen haben und dadurch häufig der Kritik ausgesetzt sind. Um so mehr tut es gut, wenn über die Schiedsrichter auch mal lobend berichtet wird. In meinem Fall war dies z. B. so, als beim Tübinger Meisterturnier 2001 nach dem Turnier ein Büchlein veröffentlicht wurde, in dem (sinngemäß) stand: „Der Schiedsrichter hat mitgefiebert und war voll bei der Sache – er hat damit den Teilnehmern das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein und das hat auch den Spielern geholfen“.
Was sind Deine Ziele für die Zukunft?
Als Spieler habe ich keine großen Ziele mehr, ich spiele nur noch so zum Spaß. Meine Schiedsrichtertätigkeit möchte ich natürlich noch weiter fortsetzen, auch auf internationaler Ebene.
Thomas, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.

Fragen und Fotos (Thomas Wiedmann bei der Württembergischen Blitz-Mannschaftsmeisterschaft 2005 in Gerlingen) von ©Oliver Breitschädel